Entwicklungspolitischer Einsatz in Südindien - Wer entwickelt hier wen??
„Der unmittelbare Kontakt zu armen, vielfach kranken Menschen, aber auch leuchtende Kinderaugen sowie große
Gastfreundschaft, machen die Arbeitseinsätze des Indienkreises unvergesslich. Freut euch auf eine Reise die euch prägen wird. Mit diesen Worten wurde den zukünftigen Indienfahren im April 2010
die Reise angekündigt. Und diese Ankündigung hat sich bewahrheitet:
"Diese Reise war
prägend, anders kann man es einfach nicht in einen Satz packen", erklärte Lukas Weßel, einer der 10 Entwicklungshelfer. Mit ihm waren auch noch Karl Marx, Tobias Selbach, Hanna Wessel,
Ricarda Schneider, Sarah Pütz, Markus Müller, Niklas Hörper, Ralf Kostka und René Kauth unterwegs.
Köln-Dubai/Dubai-Chennai und das in 24 Stunden. Mit den motivierenden Worten: „Ihr wolltet ja mitkommen!", muntert Karl Marx die müde Gruppe auf. Nachdem der Montag vorwiegend
dazu genutzt wurde Schlaf nachzuholen, wurden wir am Dienstagmorgen mit einer offiziellen Begrüßung in der Schule „Don Bosco Wisdom Town“ überrascht. Eine herzliche Begrüßung durch Lehrer und
Schüler mit darauf folgendem Segen durch Pater Gerard erfüllte die Gruppe mit Tatendrang. Hoch motiviert wurde nun die Innenstadt von Chennai erkundet: Schon sehr schnell, und zwar in
einer Leprastation In den Slums, konnten sich die Jugendlichen ein Bild von der herrschenden Armut in Indien machen. „Das ist echt krass!", war ein typischer Kommentar. „Diesen ersten Eindruck
kann man einfach nicht anders in Worte fassen.", waren wir uns einig. Über die freundliche und offene Art der Menschen, die aufgrund schrecklicher Krankheiten alles verloren hatten oder schon in
der absoluten Armut geboren wurden, waren wir erstaunt. „In Deutschland sind einfach alle unzufrieden, und das obwohl sie sich so ein Elend nicht einmal vorstellen können!", gab Tobias zu
bedenken. Bilder von im Dreck sitzenden, nackten Kindern und der beißenden Gestank sind Erinnerungen an die Slums, die uns nicht mehr loslassen werden.
Wir beteiligten uns an zwei verschiedenen Projekten. Um uns intensiver mit den Armen auseinandersetzen zu können,
teilten wir uns in zwei Fünfergruppen auf. Abwechselnd arbeiteten wir mit Straßenkindern und im Altenheim.
Mitten in Chennai, hinter einem zweimeter- fünfzig hohen Zaun, verbarg sich der Ort unseres ersten Arbeitseinsatzes. Ein Auffangzentrum für Straßenkinder. Hier
bekommen sie Essen und haben nachts ein Dach über dem Kopf. Psychologische Unterstützung bekommen sie hier nicht, obwohl sie gerade das bei ihrer meist schrecklichen Vergangenheit am nötigsten
hätten. Im Allgemeinen bekommen sie nicht viel Aufmerksamkeit. Dementsprechend groß war die Freude bei unserer Ankunft. Schon beim Aussteigen aus dem Bus wurden wir von zahlreichen Kindern umarmt
und mit einem herzlichen „Thank You" begrüßt. Wir waren erstaunt darüber, dass die Kinder schon nach wenigen Minuten so viel Vertrauen aufgebaut hatten, dass sie uns zum Spielen
aufforderten.
Die Begrüßung im Altenheim sah nicht anders aus. Auch dort wurden wir
offen empfangen: Mit viel Gastfreundschaft wurde uns direkt etwas zu essen serviert. Doch wir waren hier um zu arbeiten. Und so gaben uns die Schwestern kurze Anweisungen mit denen wir sie in den
folgenden Wochen bei den Arbeiten im Altenheim unterstützen konnten. Im Gegensatz zu der Arbeit mit den Straßenkindern, welche uns psychisch schwer mitnahm, war die Arbeit im Altenheim eher
körperlich anstrengend. Wir putzten Fenster, säuberten Nachtschränkchen von Kakerlakenkolonien und reinigten die stark verschmutzen Toiletten. Nebenbei kamen wir aber auch mit den Alten in
Berührung. Besonders die Begegnungen mit Tippy, einer achtzigjährigen gebrechlichen Dame, die ununterbrochen davon sprach, wie gerne sie sich umbringen wolle, aber dabei trotzdem noch vor Humor
strotzte, Frank, der uns mit Stolz seine unglaublichen Gemälde zeigte, oder Steven, der uns von seiner Vergangenheit bei internationalen Unternehmen erzählte, werden uns wohl ewig in Erinnerung
bleiben.
Die Kinder forderten unsere Geduld jeden Tag aufs Neue. Ihre Vergangenheit
spiegelte sich in ihrem Verhalten wieder. Waren sie im einen Moment noch miteinander am spielen, reichte eine kurze Provokation um eine Prügelei vom Zaun zu brechen. „Ich will mir nicht
vorstellen was diese Kinder durchgemacht haben müssen...", sagte Niklas. Wir erfuhren, dass die Narben auf dem Körper des kleinen Vinut von Zigaretten stammten, die seine Eltern an ihm
ausgedrückt hatten. Bei den meisten Geschichten, die wir hörten, wunderte es uns nicht, dass die Kinder von zu Hause weggelaufen waren. Die Straßenkinder, die wir kennenlernten, waren nur Jungen.
Es gab nur ein Kinderheim in der Stadt, welches sich um die in Indien allgemein benachteiligten Mädchen kümmerte. Uns wurde erklärt, dass dies keinesfalls daran liege, dass es weniger weibliche
Straßenkinder gebe, sondern nur daran, dass diese schnell in der Prostitution untergingen oder längst tot in irgendeiner Gasse liegen". Dieses Kinderheim durften wir nur sehr kurz kennenlernen,
da sich unsere eigentliche Arbeit auf das Straßenkinder- zentrum der Jungen konzentrierte. Doch auch dort lernten wir Mädchen kennen, denen schreckliches widerfahren war. Fast alle waren
vergewaltigt worden, der Körper eines Mädchens war fast komplett vernarbt. Die Betreuerinnen vermuteten, dass sie von ihren Eltern angezündet worden war, doch genau wussten sie es nicht. Sprechen
tat sie nicht darüber.
Nach drei Wochen in Indien, war es dann aber doch merkwürdig,
die Kinder und die alten Menschen wieder zu verlassen. Wieder zu Hause angekommen, wollte natürlich jeder wissen, wie es war. Rene teilte es der Welt in Facobook sehr treffend
mit:
„Seit zwei Tagen zurück aus Chennai;
es war beeindruckend,
es war anders,
es war gut?
-Es war gut das erlebt zu haben, auch wenn es wohl noch etwas
dauern wird bis man das Gesamte realisiert hat - dafür war dort zu wenig Zeit...."
Von Ricarda Schneider und Ralf Kostka